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Analytische Philosophie zur Einführung

Albert Newen

Analytische Philosophie
zur Einführung

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Wissenschaftlicher Beirat
Michael Hagner, Zürich
Dieter Thomä, St. Gallen
Cornelia Vismann, Frankfurt a.M. †

Junius Verlag GmbH

© 2005 by Junius Verlag GmbH

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

Einleitung: Was ist Analytische Philosophie?

Teil I: Frege, Russell und Wittgenstein

1. Gottlob Frege (1848-1925)

1.1 Die Verbindung von Mathematik und Sprachphilosophie in den Grundlagen der Arithmetik

1.2 Freges Sprachphilosophie

1.3 Freges Wirkung

2. Bertrand Russell (1872-1970)

2.1 Kritik am erkenntnistheoretischen Idealismus

2.2 Logik und Mathematik: Die Russellsche Antinomie

2.3 Die Philosophie des logischen Atomismus

2.4 Russells Wirkung

3. Ludwig Wittgenstein (1889-1951)

3.1 Der Tractatus logico-philosophicus (TLP)

3.2 Die Philosophischen Untersuchungen

3.3 Wittgensteins Wirkung

Teil II: Zentrale Thesen bei Carnap, Quine, Moore Hare, Rawls, Kripke und Putnam

4. Rudolf Carnap und Willard V.O. Quine: Logischer Empirismus und Naturalisierung der Bedeutung

4.1 Rudolf Carnap: Der logische Aufbau der Welt

4.2 Willard V.O. Quine: Unbestimmtheit und Holismus

5. George E. Moore und Richard M. Hare: Metaethik und die Sprache der Moral

5.1 Die Grundlagen der Metaethik: Der moralische Intuitionismus von G.E. Moore und die Kritik durch Stevensons Emotivismus

5.2 R.M. Hare: Universeller Präskriptivismus

6. John Rawls: Gerechtigkeitstheorie contra Utilitarismus

6.1 Varianten des Utilitarismus und die zentralen Kritikpunke

6.2 Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit

7. Saul A. Kripke und Hilary Putnam: Notwendigkeit, Regelfolgen und Zwillingswelten

7.1 Eine neue Theorie von Apriorität und Notwendigkeit sowie das Problem des Regelfolgens

7.2 Hilary Putnam: Natürliche Artbegriffe, Zwillingswelten und Probleme des Externalismus

Teil III: Neuere Strömungen: Einige Problemfelder

8. Grundlagen der analytischen Ontologie

8.1 Ein klassisches Problem der Ontologie

8.2 Bedeutungsvolle Äußerungen und Existenzannahmen

8.3 Ein neues Prinzip für begründete Existenzannahmen

9. Analytische Philosophie des Geistes: Das Problem der mentalen Verursachung

9.1 Gilbert Ryles Theorie des Geistes: Mentale Phänomene sind Dispositionen

9.2 Daniel Dennett: Intentionale Systeme

9.3 Identitätstheorien und der Funktionalismus

10. Ausgewählte Forschungsschwerpunkte der neueren Sprachphilosophie

10.1 Paul Grice: Philosophie der Sprache und der Kommunikation

10.2 Semantik: Bedeutung und Referenz

10.3 Bedeutung und Referenz: Eigennamen

Anhang

Anmerkungen

Glossar

Literaturhinweis

Über den Autor

Vorwort

Die Analytische Philosophie ist einerseits durch bestimmte inhaltliche Schwerpunkte zu einer Hauptströmung der Gegenwartsphilosophie geworden, andererseits erhebt sie den Anspruch, das methodische Rüstzeug für wissenschaftliches Philosophieren schlechthin bereitzustellen. Daher bietet das vorliegende Buch einen Überblick über das Selbstverständnis, die inhaltlichen und methodischen Grundlagen sowie die Entwicklung der Analytischen Philosophie. Es werden Darstellungen von Autoren, Disziplinen und neueren Strömungen miteinander verknüpft. Das Buch wurde so konzipiert, dass das, was nach meiner Einschätzung für das Studium der Analytischen Philosophie grundlegend ist, möglichst weitgehend berücksichtigt wurde. Die Wahl der einzelnen Themen bleibt selbstverständlich stark durch Vorlieben und Forschungsschwerpunkte geprägt. Dieses Buch knüpft an die vergriffene Einführung an, die ich gemeinsam mit Eike von Savigny 1996 verfasst hatte. Doch gibt es wesentliche Veränderungen in der Komposition. So habe ich die Kapitel 4 bis 7 vollständig neu verfasst, und die anderen Kapitel sind teils stark überarbeitet worden, so dass ein selbständiges neues Buch entstanden ist. Im ersten Teil des Buches werden die Begründer der Analytischen Philosophie Frege, Russell und Wittgenstein ausführlich vorgestellt. Im zweiten Teil werden einzelne wegweisende Autoren herausgegriffen, und anhand dieser Autoren wird jeweils eine für die Analytische Philosophie besonders charakteristische Disziplin vorgestellt. Dazu gehören die Erkenntnistheorie in Form des logischen Empirismus bei Carnap, die Metaethik bei Hare im Kontrast zu Moore, die politische Philosophie von Rawls, die methodische Klärung von Kernbegriffen der Philosophie bei Kripke und Putnam, nämlich Apriorität, Notwendigkeit und Regelfolgen, sowie schließlich eine kurze Darstellung der Probleme, die mit der Umweltabhängigkeit von Gedanken einhergehen. Den dritten Teil des Buches bilden drei systematische Problemdiskussionen zur Ontologie, zur Philosophie des Geistes und zur Sprachphilosophie, die jeweils das Zentrum von umfangreichen Debatten markieren. Auch wenn der Band so angelegt ist, dass er die zeitliche Entwicklung der Analytischen Philosophie widerspiegelt, so sind doch die einzelnen Kapitel so verfasst, dass sie unabhängig voneinander in wechselnder Reihenfolge gelesen werden können.

Ich habe mich bemüht, ein möglichst klares und charakteristisches Bild der Analytischen Philosophie zu zeichnen, welches auch für interessierte Laien und Studienanfänger gut lesbar ist. Daher habe ich darauf verzichtet, Disziplinen vorzustellen, für deren Präsentation umfangreiche logische Formalisierungen unerlässlich sind. Dazu gehören u.a. die Wissenschaftstheorie, die Handlungs- und Entscheidungstheorie sowie die Philosophische Logik. Bei den bibliographischen Angaben im Text habe ich den Autorennamen und den Titel angegeben, damit man sofort eine Vorstellung hat, um welchen Text es geht. Der bibliographische Nachweis ist jedoch auf meine Internetseite ausgelagert worden mit dem Vorteil, dass neben einer Bibliographie für den genauen Zitatnachweis auch noch eine regelmäßig aktualisierte ausführliche Bibliographie für eine umfassende Orientierung zur Verfügung steht:

http://www.uni-tuebingen.de/philosophie/newen/lehre.html

Als Lesehilfe wird im Anhang ein Glossar mit Fachbegriffen zur Verfügung gestellt, welches wesentlich durch die Mitarbeit von Herrn Horvath und Frau Mantel erstellt wurde. Für hilfreiche, kritische Anmerkungen zu Form und Inhalt möchte ich mich bei Vera Hoffmann, Joachim Horvath, Christian Löw, Susanne Mantel, Gottfried Vosgerau und Alexandra Zinck bedanken. Die Unterstützung durch meine Mitarbeiter und die kooperative Haltung des Junius Verlags haben dieses Buchprojekt erst möglich gemacht.

Tübingen, im Juli 2005
Albert Newen

Einleitung: Was ist Analytische Philosophie?

Diese Frage soll beantwortet werden, indem in einem ersten Schritt aus der Sachfrage eine Frage nach einem Begriff gemacht wird: Wie wird der Begriff »Analytische Philosophie« verwendet? Mit diesem Begriff wird eine einflussreiche philosophische Schule des 20. Jahrhunderts benannt. Ausgehend von klaren Anwendungsfällen des Begriffs möchte ich einen historischen und einen methodischen Kern der Analytischen Philosophie charakterisieren. Der Wechsel des Untersuchungsobjekts von Sachen zu Begriffen wird als die sprachliche Wende (the linguistic turn) bezeichnet.

Die Wurzeln der Analytischen Philosophie reichen weit bis ins 19. Jahrhundert zurück. Insbesondere gehört Bernhard Bolzano (1781–1848) wegen seiner klaren Sprache, der durchsichtigen Argumentation und der Transformation von Sach- in Begriffsfragen zu den Vorläufern der Analytischen Philosophie. Mit seinen Arbeiten hat er im Vergleich zu seinen Zeitgenossen einen neuen Stil des Philosophierens eingeführt. Dieser Stil des Philosophierens, der sich mit seinen Formulierungen eng an der Normalsprache orientiert, wurde im 20. Jahrhundert von George E. Moore und besonders von Ludwig Wittgenstein in seinen Philosophischen Untersuchungen (1952) weiterentwickelt. Die daraus entstehende Grundrichtung der Analytischen Philosophie wird »die Philosophie der normalen Sprache« genannt. Ein zweiter Meilenstein für die Entstehung der Analytischen Philosophie war Gottlob Freges Begriffsschrift (1870). Damit wurde die Logik erstmals seit der Antike (seit der aristotelischen Syllogistik) wesentlich weiterentwickelt. Die Entwicklung der modernen Logik war anfangs sehr eng an die Entwicklung der zweiten Grundrichtung der Analytischen Philosophie gekoppelt, nämlich der Philosophie der idealen Sprache. Für diese wurde die moderne Logik zum zentralen methodischen Arbeitsmittel. So ist es charakteristisch, dass bei Frege, Russell und dem frühen Wittgenstein, der den Tractatus logico-philosophicus (1918) verfasst hat, die Hauptwerke wesentlich von der Frage geleitet sind, was die Grundlagen der Mathematik sind. Indem sie diese erforschten, begannen sie zugleich mit systematischen Diskussionen zur Sprachphilosophie. Die Analytische Philosophie hatte in den 30er Jahren prominente Vertreter in Deutschland und Österreich, von denen sich viele im Wiener Kreis zusammenschlossen. Während der nationalsozialistischen Diktatur wanderten fast alle analytischen Philosophen vom europäischen Festland nach Großbritannien oder in die USA aus, so dass die Analytische Philosophie für einige Jahre eine rein angelsächsische Angelegenheit wurde. Doch schon bald nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann sie wieder auf dem europäischen Festland Fuß zu fassen. Die bis heute weitverbreitete Redeweise von der angelsächsischen Analytischen Philosophie einerseits und der kontinentalen Philosophie andererseits war nur wenige Jahre zutreffend, wurde rasch irreführend und ist heute völlig unangemessen. Die Entwicklung der Analytischen Philosophie in Deutschland ist in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik ganz wesentlich von Wolfgang Stegmüller und dem Münchener Institut für Logik und Wissenschaftstheorie geprägt worden. Mittlerweile gehören Veranstaltungen zur Analytischen Philosophie an allen Universitäten in Deutschland zur philosophischen Ausbildung. Seit ungefähr fünfzehn Jahren gibt es sowohl eine Gesellschaft für Analytische Philosophie (GAP) in Deutschland als auch eine Europäische Gesellschaft für Analytische Philosophie (ESAP).

Die Unterscheidung zwischen der Philosophie der normalen und der idealen Sprache ist ein brauchbares Mittel, um die Arbeiten zur Analytischen Philosophie vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis etwa in die 60er Jahre methodisch zu charakterisieren. Autoren, die zur Philosophie der idealen Sprache gehören, zeichnen sich dadurch aus, dass sie mittels einer logischen Analyse der Normalsprache eine Idealsprache zu konstruieren suchen, in der sich alles ausdrücken lässt, was wir mit sinnvollen normalsprachlichen Sätzen ausdrücken, nur klarer, prägnanter und logisch eindeutig. Darüber, wie eine logische Analyse der Normalsprache genau auszusehen hat, gehen die Meinungen weit auseinander. Die Philosophie der idealen Sprache hat außerdem das methodische Mittel der rationalen Rekonstruktion entwickelt. In der Erkenntnistheorie versucht man die Fundamente einer Erkenntnis, in der Wissenschaftstheorie die Fundamente einer Wissenschaft so anzugeben, dass in der Beschreibung psychologische Aspekte, die das faktische Entstehen eines Phänomens beeinflussen, außen vor bleiben zugunsten von Faktoren, die für die logische Begründung eines Phänomens wesentlich sind. Die Philosophie der idealen Sprache wurde ausgehend von Frege, Russell und dem frühen Wittgenstein wesentlich von den Mitgliedern des Wiener Kreises weiterentwickelt, zu dessen Kern u.a. Moritz Schlick und Friedrich Waismann gehörten. Der Wiener Kreis hat Untersuchungen zur Entwicklung der Wissenschaften ins Zentrum seiner Philosophie gestellt. Karl Popper und Carl G. Hempel haben darauf aufbauend solide Fundamente für die Disziplin der Wissenschaftstheorie gelegt, während Rudolf Carnap und Hans Reichenbach vor allem die Sprachphilosophie und die Erkenntnistheorie weiterentwickelten.

Die Philosophie der normalen Sprache hat zwei charakteristische Methoden entwickelt, nämlich Begriffsanalyse und Therapie. In den Philosophischen Untersuchungen (PU) hat Wittgenstein die Auffassung entwickelt und praktiziert, dass ein Philosoph eine Frage wie eine Krankheit behandelt (PU 255). Die Krankheit ist die Verwirrung, die die Philosophie mit ihren unlösbaren Fragen stiftet. Die Therapie besteht darin, die Begriffe, die für das Entstehen des philosophischen Problems wesentlich sind, aus der metaphysischen Verwendung in ihren alltäglichen Gebrauch zurückzuführen und damit das Problem als Scheinproblem zu entlarven: »Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.« (PU 109)

Dieses Bild vom Philosophen als Therapeuten hat wahrscheinlich deshalb an Attraktivität eingebüßt, weil das Auflösen philosophischer Probleme oftmals nicht hinreichend begründet ist. Wenn ein Problem jedoch ohne Lösung stehen gelassen wird, führt dies bestenfalls zu einer Haltung des Nichtwissens; aber das philosophische Fragen begnügt sich dauerhaft meist nicht einmal mit der sokratischen Haltung des begründeten Nichtwissens. Die Philosophie der normalen Sprache hat auch eine konstruktive Methode entwickelt, nämlich die Begriffsanalyse. Diese hat sich sehr viel stärker durchgesetzt. Es handelt sich dabei um die Strategie, einen Begriff durch einen anderen Begriff informativ zu erläutern. Betrachten wir zunächst ein einfaches Alltagsbeispiel:

(i) Ein Großvater zu sein ist dasselbe, wie Vater eines Vaters oder Vater einer Mutter zu sein.

Es ist wesentlich, dass es sich bei diesen Sätzen um begriffliche und nicht um empirische Wahrheiten handelt. Der Satz »Ein Großvater zu sein ist dasselbe, wie ein verheirateter Mann zu sein, der älter als 50 Jahre ist« ist dagegen ein empirischer Satz, in dem charakteristische Merkmale von Großvätern festgehalten werden. Großväter sind in der Regel verheiratet und über 50 Jahre alt. Doch ist es keineswegs so, dass in der Regel ein verheirateter Mann über 50 ein Großvater ist. Selbst wenn es faktisch so wäre, dass alle Großväter dieser Welt verheiratete Männer über 50 wären und umgekehrt alle verheirateten Männer über 50 auch Großväter wären, so wäre dies nicht notwendigerweise so. Die Tatsache, dass es auch anders sein kann, zeigt, dass mit dem obigen Satz eine empirische und keine begriffliche Aussage gemacht wird. Doch wenn korrekte Begriffsanalysen nur begrifflich wahre Aussagen zulassen, so besteht der Verdacht, dass diese – entgegen der Anforderung – nicht informativ sein können. Wie das Beispiel (i) zeigt, entsteht eine begrifflich wahre Aussage zumindest dann, wenn der analysierte Begriff und seine Erläuterung bedeutungsgleich bzw. synonym sind. Es scheint jedoch gerade dann keine informative Analyse möglich. Damit steht die Analytische Philosophie vor dem Paradox der Analyse. Bei der folgenden Darstellung haben die Begriffsanalysen die allgemeine Form »X zu sein ist dasselbe, wie Y zu sein« (vgl. Künne, George Edward Moore. Was ist Begriffsanalyse?).

1. Prämisse: Wenn ›X‹ und ›Y‹ synonym sind, dann ist die Begriffsanalyse nicht informativ.

2. Prämisse: Wenn ›X‹ und ›Y‹ nicht synonym sind, dann ist die Begriffsanalyse inkorrekt.

Konklusion: Eine Begriffsanalyse kann nicht gleichzeitig korrekt und informativ sein.

Wenn man die Konklusion nicht akzeptiert, muss man zeigen, dass eine der Prämissen falsch ist, denn der Schluss ist richtig. Die Lösung des Paradoxes besteht darin, die zweite Prämisse des Arguments als falsch zurückzuweisen: Eine Begriffsanalyse kann korrekt sein, auch wenn die beiden Begriffe nicht synonym sind. Um dies zu zeigen, brauchen wir zunächst genauere Erläuterungen der Begriffe »Synonymie« und »korrekte Analyse«. Die Synonymie wird durch eine notwendige Bedingung erläutert: Wenn zwei Begriffe »F« und »G« synonym sind, dann kann jemand, der beispielsweise die Sätze »Politiker sind F« und »Politiker sind G« versteht, nicht zugleich den einen für falsch und den anderen für wahr halten. Betrachten wir als Beispiel die Begriffe Bruder sein und männliches Geschwister sein. Wenn jemand den Satz »Michael ist ein Bruder von Sylvia« für wahr hält, dann auch den Satz »Michael ist ein männliches Geschwister von Sylvia«. Die Bedingung für eine korrekte Analyse haben wir uns bereits vor Augen geführt: Eine Begriffsanalyse ist nur dann korrekt, wenn die Aussage »X zu sein ist dasselbe, wie Y zu sein« nicht bloß zufällig, sondern notwendigerweise wahr ist. Kommen wir nun zu einem Beispiel, welches der Bedingung einer korrekten Analyse genügt, ohne die notwendige Bedingung für Synonymie zu erfüllen. Die philosophische Analyse des Begriffs des Wissens sieht wie folgt aus, wobei der Buchstabe »p« für einen beliebigen Satz steht:

Eine Person weiß genau dann, dass p, wenn

1.) sie glaubt, dass p,

2.) sie gute Gründe hat zu glauben, dass p, und

3.) es der Fall ist, dass p.

Der Begriff des Wissens ist somit nur dann angebracht, wenn erstens jemand eine Überzeugung hat, zweitens sich seine Überzeugung auf gute Gründe stützt (und nicht beispielsweise auf eine Eingebung im Traum) und drittens die Überzeugung wahr ist. Wissen ist nach dieser Analyse gerechtfertigte, wahre Meinung. Die Aussage »Wissen zu haben ist dasselbe, wie eine gerechtfertigte, wahre Meinung zu haben« ist notwendig und nicht bloß zufällig wahr. Damit liegt eine korrekte Begriffsanalyse vor. Allerdings ist es durchaus möglich, dass jemand, der den Begriff des Wissens in der Alltagssprache gelernt hat, den Satz »Anna weiß, dass es regnet« für wahr und zugleich den Satz »Anna hat den gerechtfertigten, wahren Glauben, dass es regnet« für falsch hält, weil er den von der Philosophie aufgedeckten Zusammenhang zwischen Wissen und gerechtfertigter, wahrer Meinung nicht kennt. Die Bedingung der Synonymie ist also nicht erfüllt. Damit wurde beispielhaft gezeigt, dass eine korrekte Analyse auch bei zwei Begriffen möglich ist, die nicht synonym sind, und dass somit die Begriffsanalysen gleichzeitig korrekt und informativ sein können.

Ein weiteres Beispiel ist die Analyse des Begriffs des Lügens: Im ersten Ansatz sagen die meisten Menschen, dass Lügen dasselbe ist, wie die Unwahrheit zu sagen. Natürlich lügt man nicht, wenn man bloß falsch informiert ist. Also lautet der zweite Versuch einer Analyse meistens: Lügen ist dasselbe, wie etwas zu behaupten, von dem man glaubt, es sei falsch. Doch auch damit trägt man unseren Intuitionen nicht Rechnung: Angenommen ich weiß, dass Sofie mich für einen notorischen Lügner hält, aber sie kann nur von mir die Information bekommen, welchen von zwei möglichen Wegen sie wählen soll. Rate ich ihr aufrichtig den richtigen Weg A, dann glaubt sie dennoch, ich hätte gelogen, und wählt den falschen Weg B. Wenn ich ihr die richtige Information A mitteilen möchte, so dass sie diese glaubt, dann muss ich B sagen, also etwas, von dem ich glaube, dass es falsch ist. Aber wir würden diesen Fall nicht als Lüge einstufen, weil ich die Absicht habe, dass Sofie die korrekte Information erhält. Lügen ist somit dasselbe, wie etwas zu behaupten, von dem man glaubt, es sei falsch, in der Absicht jemanden glauben zu machen, es sei wahr. Diese Begriffsanalyse ist korrekt, aber die beiden verwendeten Begriffe sind keineswegs synonym, weil erst vielfältige Überlegungen, die über normale Sprachkompetenz weit hinausgehen, diesen Zusammenhang aufdecken.

Diese Art von Begriffsanalyse ist in der Philosophie der normalen Sprache ausgiebig verwendet worden; z.B. hat Gilbert Ryle in The Concept of Mind (1949) ein Begriffsnetz bzw. eine Geographie unserer mentalistischen Begriffe aufgedeckt. Seit den 60er Jahren breitete sich die Analytische Philosophie nicht nur im angelsächsischen Raum, sondern auch in Europa zunehmend aus. In den Disziplinen der Analytischen Philosophie entwickelten sich umfangreiche Diskussionen, denen man nicht mehr durch die methodische Unterscheidung von Philosophie der normalen und der idealen Sprache gerecht werden kann. So wie die Analytische Philosophie bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts durch eine sprachliche Wende (von den Sach- zu den Bedeutungsfragen) charakterisiert werden kann, so findet seitdem eine kognitive Wende statt: Viele Disziplinen der Analytischen Philosophie, insbesondere die Erkenntnistheorie, die Philosophie des Geistes und Teile der Sprachphilosophie, stehen in engem Zusammenhang mit der Kognitionswissenschaft. Diese junge Wissenschaft hat sich das Ziel gesetzt, die psychischen Fähigkeiten des Menschen zu erforschen, wobei Linguisten, Psychologen, Neurobiologen, Philosophen und Informatiker an denselben Leitfragen arbeiten. Neben der Wissenschaftstheorie, die schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts besonders eng mit der Physik verknüpft ist, ist es für die neuesten Entwicklungen in der Analytischen Philosophie charakteristisch, dass sie sich allgemein für einen interdisziplinären Austausch öffnet, so dass man von einem Trend zu interdisziplinärer Philosophie sprechen kann: In allen Forschungsgebieten, sei es die Ethik mit der Entwicklung von Bioethik und medizinischer Ethik, sei es die Philosophie des Geistes mit engen Verbindungen zu Psychologie und Hirnforschung oder sei es die politische Philosophie mit einer engen Kopplung an Rechtswissenschaft und Soziologie, anerkennen immer mehr Philosophen, dass eine fruchtbare, systematische Theoriebildung ganz wesentlich auf die neuesten Erkenntnisse in anderen Wissenschaften, insbesondere den empirischen Wissenschaften, angewiesen ist.

Die Frage, was Analytische Philosophie ist, ist bislang durch einige historische und methodische Anmerkungen beleuchtet worden. Diese Grundgedanken kann der Leser durch die Lektüre der vorgestellten Autoren, Disziplinen und neueren Strömungen zu einem fundierten Einblick erweitern. Wenn es mir mit diesem Buch gelingt, das Interesse für eine philosophische Hauptströmung zu wecken, die auf literarische Eigenwilligkeit und Eleganz zugunsten von gründlicher und durchsichtiger Argumentation verzichtet, so ist ein wesentliches Ziel dieser Einführung erreicht.

Teil I: Frege, Russell und Wittgenstein

Die Grundsteine der Analytischen Philosophie sind in Verbindung mit Fragen nach den Grundlagen der Mathematik gelegt worden. Frege, Russell und Wittgenstein hatten jeweils Mathematik (bzw. Naturwissenschaften) studiert und waren intensiv damit befasst, die moderne Logik zu entwickeln. Diese wurde das entscheidende neue Instrument für die Philosophie, und zwar (i) inhaltlich als Grundlagendisziplin für die Mathematik, (ii) bezüglich der Strukturen als Vorbild für die Sprachphilosophie und (iii) methodisch als Rahmen für korrektes Argumentieren. Insbesondere mit der Argumentationsweise sind neue methodische Standards gesetzt worden, die mittlerweile alle wissenschaftlichen Richtungen der Philosophie beeinflusst haben.

1. Gottlob Frege (1848-1925)

Freges Philosophie wird in zwei Teilen vorgestellt. Zunächst wird kurz seine Philosophie der Mathematik skizziert, dann seine darauf aufbauende Sprachphilosophie.

1.1Die Verbindung von Mathematik und Sprachphilosophie in den »Grundlagen der Arithmetik«

Gemäß dem Titel der Schrift geht es um eine Untersuchung der Grundlagen der Arithmetik, und zwar insbesondere um den Begriff der Zahl. Die Erforschung der Grundlagen darf nicht als die psychologische Frage nach den Ursprüngen für die Entdeckung der Zahl missverstanden werden, sondern muss als logische Frage nach den Bedingungen einer einwandfreien Definition des Begriffs der Zahl aufgefasst werden. Die Unterscheidung von Entdeckungs- und Begründungszusammenhang ist ein in den 30er Jahren von Karl Popper (Logik der Forschung) in die Wissenschaftstheorie eingeführter Standard, der in den Grundlagen der Arithmetik seine Wurzeln hat:

»So hat man allgemein die Frage, wie wir zu dem Inhalte eines Urteils kommen, von der zu trennen, woher wir die Berechtigung für unsere Behauptung nehmen.« (GLA, 27)1

Philosophisch ausgedrückt ist die Leitfrage der Untersuchung eine Frage nach der analytischen oder synthetischen Natur der arithmetischen Wahrheiten. Diese von Kant eingeführte Unterscheidung erläutert Frege wie folgt: Ein Satz bzw. die Begründung eines Satzes ist analytisch, wenn bei dem Beweis des Satzes nur allgemeine logische Gesetze und Definitionen benötigt werden. Ein Beispiel für ein logisches Gesetz ist die Formel »p oder nicht p«, eine Anwendung des Gesetzes ist der Satz »Es regnet oder es regnet nicht«. Ein Beispiel für eine Definition ist der Satz »Junggesellen sind unverheiratete Männer«. Ein logisches Gesetz ist ohne Zuhilfenahme von sinnlicher Wahrnehmung zu begründen. Dasselbe wird auch von Definitionen gefordert, so dass der Verzicht auf sinnliche Wahrnehmung ein durchgängiges Merkmal bei der Begründung analytischer Sätze ist. Ein Satz bzw. die Begründung eines Satzes ist synthetisch, wenn bei dem Beweis des Satzes darüber hinaus Wahrheiten benötigt werden, die sich auf ein besonderes Wissensgebiet beziehen. Wahrheiten eines besonderen Wissensgebietes sind Satzinhalte, die letztlich nur abhängig von einer sinnlichen Wahrnehmung bewiesen werden können, z.B. der Satzinhalt, dass jetzt in Tübingen die Sonne scheint.

Die Leitfrage Freges ist nun, ob arithmetische Sätze wie »2 + 3 = 5« analytisch oder synthetisch sind. Da die arithmetischen Sätze vor allem den Begriff der Zahl voraussetzen, kann die Frage nur entschieden werden, indem geklärt wird, ob der Begriff der Zahl rein logisch definierbar ist oder nicht. Im ersten Fall wäre die Analytizität der Zahlformeln gezeigt und damit die Arithmetik als Teilgebiet der Logik ausgewiesen. Im zweiten Fall wären die Zahlformeln synthetischer Natur, und damit bekäme die Arithmetik denselben Status wie die Geometrie als ein Gebiet der Mathematik, dessen Grundlagen von den Bedingungen der Wahrnehmung abhängen. Frege argumentiert für die Analytizität der Zahlformeln, indem er eine Definition des Begriffs der Zahl entwickelt und diese in groben Zügen begründet. Da das Ergebnis durch Russells Kritik später ins Wanken gebracht wurde (vgl. Kap. 2.2), interessiert uns in diesem Fall mehr der Weg von Freges Denken als sein Ziel. Er hat drei Grundsätze eingeführt, die die Schnittstelle zwischen seiner Philosophie der Mathematik und seiner Sprachphilosophie markieren. Sie werden nun vorgestellt.

1.1.1Die Trennung von Logik und Psychologie

Freges Antipsychologismus zeigt sich nicht nur in der Unterscheidung von Entdeckungs- und Begründungszusammenhang, sondern auch bei seiner Diskussion der Frage, ob die Zahl wie eine Geschmacksempfindung etwas Subjektives sei. Subjektive Empfindungen, wie alles Subjektive, fasst Frege mit dem Terminus Vorstellungen zusammen. Seine These lautet: »[…] die Zahl ist so wenig ein Gegenstand der Psychologie oder ein Ergebnis psychischer Vorgänge, wie es etwa die Nordsee ist.« (GLA, 56)

Als Beleg seiner These führt er zwei Argumente an. Mit einer Äußerung des Satzes »Die Nordsee ist 10 000 Quadratmeilen groß« behauptet man etwas ganz Objektives. Die Objektivität zeigt sich darin, dass der Inhalt dieses Satzes unabhängig von unserer subjektiven Auffassungsweise von »Nordsee« und »10 000« einen festen Wahrheitswert besitzt. Wenn der Inhalt des Satzes nach gewöhnlichem Verständnis wahr ist und wir etwas anderes unter »Nordsee« oder etwas anderes unter der Zahl »10 000« verstehen, so wird nicht derselbe Inhalt falsch, der vorher richtig war, sondern der Inhalt des Satzes verändert sich. Der neue Inhalt ist falsch, völlig unabhängig von der fortbestehenden Wahrheit des ersten Inhalts. In einer zweiten indirekten Argumentation weist Frege auf einige offenkundig absurde Konsequenzen eines psychologischen Verständnisses von Zahlen hin. Als Voraussetzung benutzt er, dass der Satz »Eine Vorstellung kann nicht zwei Menschen gemeinsam sein« ein analytischer Satz ist, d.h., wenn etwas zwei Menschen gemeinsam ist, dann ist es keine Vorstellung.2 Wenn die Zahl etwas Subjektives, eine Vorstellung wäre, dann müssten in der Mathematik so viele Zweien unterschieden werden, wie es Menschen gibt, die zählen können; denn die Vorstellungen zweier Menschen sind per definitionem verschieden. Es wäre des Weiteren eine offene Frage, ob sich die Vorstellungen der Menschen (bei gleich bleibenden objektiven Bedingungen) so verändern könnten, dass plötzlich »2 + 2 = 5« richtig ist. Nicht zuletzt hinge die Frage, ob »10000« ein leeres Zeichen ist oder nicht, allein davon ab, ob es jemanden gibt, der eine Vorstellung von der Zahl hat. Die aufgezeigten Konsequenzen sind offensichtlich unhaltbar, so dass damit die Position, die Zahl sei etwas Subjektives, ad absurdum geführt ist. Frege sieht nur die Alternative, dass die Zahl etwas Objektives ist – die Möglichkeit von Intersubjektivem, welches nicht objektiv ist, bleibt außen vor –, wenn es auch klar ist, dass eine Zahl im Gegensatz zu Tischen und Stühlen, aber auch im Gegensatz zum Zahlzeichen kein raumzeitliches Objekt ist. Daraus folgt nach Frege nur, dass nicht alles, was objektiv ist, raumzeitlich lokalisierbar sein muss. Neben dem Subjektiven, den Vorstellungen, die nicht raumzeitlich lokalisierbar sind, muss der Bereich des Objektiven als zweigeteilt betrachtet werden, nämlich in Objektives, welches raumzeitlich lokalisierbar ist, und solches, für das dies nicht gilt. Frege nennt Ersteres das objektiv Wirkliche und Letzteres das objektiv Nichtwirkliche. Eine Untersuchung des objektiv Nichtwirklichen gehört in den Bereich der Logik. Der erste Grundsatz, den Frege in den Grundlagen der Arithmetik formuliert, lautet:

»Es ist das Psychologische von dem Logischen, das Subjektive von dem Objektiven scharf zu trennen.« (GLA, 23)

1.1.2Das Satzzusammenhangprinzip

Der zweite Grundsatz der Grundlagen der Arithmetik lautet:

»Nach der Bedeutung der Wörter muss im Satzzusammenhange, nicht in ihrer Vereinzelung gefragt werden;« (GLA, 23)

Auch dieses Prinzip ist Teil von Freges Antipsychologismus. Er kritisiert die zu seiner Zeit verbreitete und auf John Locke zurückreichende Position, dass die Bedeutung eines Wortes die mit dem Wort verbundenen inneren Bilder oder, allgemeiner, die Vorstellungen sind. Diese Auffassung ist falsch, weil wir z.B. keine Vorstellung von der Entfernung zwischen Erde und Sonne haben, sondern nur eine Regel, wie oft man einen Maßstab anlegen müsste. Trotzdem können wir die Richtigkeit unserer Angabe zweifelsfrei ausweisen. Da die Äußerung eines Satzes, mit der die richtige Entfernung zwischen Erde und Sonne behauptet wird, wahr ist, muss sie auch bedeutungsvoll sein, d.h., die Vorstellung eines Sprechers oder Hörers ist nicht die Bedeutung einer Äußerung.

1.1.3Die Unterscheidung von Begriff und Gegenstand

Da die Bedeutung eines Zahlwortes nichts Subjektives ist, bleibt nur noch zu klären, unter welche Kategorie des Objektiven sie aus logischer Sicht gehört: Ist sie ein Gegenstand oder ein Begriff? Die Unterscheidung von Begriff und Gegenstand geht auf die mathematische Unterscheidung von Funktion und Argument zurück. In der Mathematik ist es üblich, den Zahlausdruck »32« in den Funktionsausdruck »( )2« und den Argumentausdruck »3« zu zerlegen. Der Funktionsausdruck bezeichnet die Funktion des Quadrierens, und der Argumentausdruck bezeichnet ein Argument, nämlich die Zahl 3. Das wesentliche Merkmal eines Funktionsausdrucks ist seine Unvollständigkeit bzw. Ergänzungsbedürftigkeit, welche durch die Klammer in dem Ausdruck symbolisiert wird. Ein Funktionsausdruck bildet erst zusammen mit einem Argumentausdruck ein vollständiges Ganzes. Im Gegensatz dazu benötigt ein Argumentausdruck keine Ergänzung. Frege nennt deshalb einen Funktionsausdruck sowie die von ihm bezeichnete Funktion ungesättigt und einen Argumentausdruck sowie das von ihm bezeichnete Argument gesättigt. Betrachten wir nun kurz die mathematische Behauptung »22 = 1«, um dann deren Struktur auf natürlichsprachliche Behauptungen zu übertragen. Eine Möglichkeit, diesen Satz zu zerlegen, ist die folgende: Der Ausdruck »22 = 1« besteht aus dem Funktionsausdruck »( )2 = 1« und dem Argumentausdruck »2«. Bei Einsetzung der Argumente -1, 0, 1 und 2 ergibt diese Funktion die folgenden Gleichungen:

-12 = 1; 02 = 1; 12 = 1 und 22 = 1

Jeder durch die Einsetzung eines Arguments gewonnenen Gleichung wird ein Wahrheitswert zugeordnet. Die erste und die dritte Gleichung sind wahr, die zweite und die vierte falsch. Die Werte solcher Funktionen, die aus der Zerlegung eines Behauptungssatzes hervorgehen, sind also die Wahrheitswerte »das Wahre« und »das Falsche«. Einen Funktionsausdruck eines Behauptungssatzes nennt Frege »Begriffswort« und einen Argumentausdruck, sofern er ein Einzelding bezeichnet, einen »Eigennamen«. Die Bedeutung eines Begriffswortes ist der bezeichnete Begriff. Da die Bedeutung eines Begriffswortes eine Funktion ist, die für jedes Argument als Wert einen Wahrheitswert liefert, kann Frege Begriffe auch genau so einführen:

»[…] ein Begriff ist eine Funktion, deren Wert immer ein Wahrheitswert ist.« (Frege, Funktion und Begriff, S. 28)

Die Bedeutung eines Eigennamens ist der bezeichnete Gegenstand. Ein Eigenname ist ein Ausdruck, der ein Einzelding bezeichnet; dazu gehören gewöhnliche Namen oder Kennzeichnungen, die mit dem bestimmten Artikel oder dem Demonstrativpronomen beginnen. Damit erhalten wir eine Erläuterung des Begriffs »Gegenstand«:

»Gegenstand ist alles, was nicht Funktion ist, dessen Ausdruck also keine leere Stelle mit sich führt.« (Frege, Funktion und Begriff, S. 30)

Frege bestimmt als Bedeutung eines Begriffswortes den bezeichneten Begriff und als Bedeutung eines Eigennamens den bezeichneten Gegenstand. Die Ausgangsfrage nach der Bedeutung von »Zahl« und den Zahlwörtern kann somit in eine Frage nach der Wortart umformuliert werden: Haben wir es mit einem Begriffswort oder mit einem Eigennamen zu tun? Das Wort »Zahl« bzw. »( ) ist eine Zahl« ist offensichtlich ein Begriffswort. Dagegen sind ein Zahlwort, z.B. »zwei«, sowie die Kennzeichnung »die Zahl 2« Eigennamen im Sinne Freges. Die Unterscheidung zwischen dem Begriffswort »Zahl« und den Zahlwörtern (z.B. »zwei«, »vier«), welche Eigennamen sind, beruht auf Freges drittem Grundsatz:

»Der Unterschied zwischen Begriff und Gegenstand ist im Auge zu behalten.« (GLA, 23)

1.1.4Adjektivisch verwendete Zahlwörter als Begriffswörter zweiter Stufe

Die häufigste und wichtigste Verwendung von Zahlwörtern ist damit noch nicht erfasst, denn dies ist die adjektivische Verwendung wie in dem Beispiel »vier Pferde«, »drei Städte« etc. Ein gewöhnliches Adjektiv wie z.B. »edel« bezeichnet einen einstelligen Begriff, nämlich die Eigenschaft, edel zu sein. Ist das Zahlwort »zwei« in der Verwendung »zwei Häuser« ebenso ein gewöhnliches Adjektiv wie »edel« in der Verwendung »edle Pferde«? Mit einem gewöhnlichen Adjektiv, etwa »edel«, wird in der Verbindung mit einem Begriffswort, z.B. »Pferde«, den Gegenständen, die unter den Begriff fallen, eine Eigenschaft zugeschrieben. Mit diesem Beispiel wird Pferden die Eigenschaft zugeschrieben, edel zu sein. Möchte man dieses Zuschreiben durch eine veränderte Stellung der Worte deutlicher machen, so muss man das Adjektiv mit dem Verb »sein« verbinden und den dazugehörigen Begriff zum Subjekt machen. Aus »edle Pferde« wird auf diese Weise der Satz »Pferde sind edel«. Bei der Transformation darf das Wort »sein« aber nur in einer der drei Verwendungsweisen, die es aufweist, benutzt werden. »Sein« kann zum Ausdruck von Existenz verwendet werden, z.B. in »Gott ist« als Ausdrucksvariante für »Gott existiert«, aber auch zum Ausdruck von Identität, z.B. in »Samuel Clemens ist Mark Twain« als Kurzform für »Samuel Clemens ist identisch mit Mark Twain«. Die dritte, bei der erläuterten Transformation zulässige Verwendungsweise von »sein« ist die als Hilfsverb, weil nur in dieser Rolle die Verbindung mit einem Adjektiv das gewünschte Ergebnis zeigt, nämlich dass den Gegenständen, die unter einen dazugehörigen Begriff fallen, eine Eigenschaft zugeschrieben wird. Wenn das Wort »sein« als Hilfsverb gebraucht wird, spricht man auch von der Kopula »sein«. Bei dem Ausdruck »zwei Häuser« führt eine solche Transformation zu einem unsinnigen Satz, nämlich »Häuser sind zwei«. Sinnvoll ist dieser nur, wenn der Ausdruck »sein« nicht als Kopula aufgefasst wird, sondern als Ausdruck für Existenz. Das Ergebnis ist der Satz »Häuser gibt es zwei«. Mit diesem wird jedoch den unter den Begriff »Häuser« fallenden Gegenständen keine Eigenschaft zugeschrieben; denn selbst wenn der Satz wahr wäre, hätte ein Haus nicht die Eigenschaft zwei; wohl aber hätte ein Pferd die Eigenschaft, edel zu sein, wenn der Satz »Pferde sind edel« wahr wäre. In einem vorläufigen Resümee können wir festhalten, dass das Zahlwort »zwei« in der adjektivischen Verwendung »zwei Häuser« einerseits kein Eigenname ist, weil es als Adjektiv ungesättigt ist. Andererseits ist es auch kein gewöhnliches einstelliges Begriffswort, das den unter einen dazugehörigen Begriff fallenden Gegenständen eine Eigenschaft zuweist. Es bleibt also die Frage, welche Rolle ein adjektivisch verwendetes Zahlwort spielt.

Freges Antwort lautet: Es ist ein Begriffswort zweiter Stufe, d.h. ein Begriffswort, das etwas von einem dazugehörigen Begriff erster Stufe aussagt und nicht von den unter diesen Begriff fallenden Gegenständen. Als Bestätigung für diese These weist Frege u.a. auf den Sprachgebrauch hin. Man sagt »zehn Mann«, »drei Fass« und verwendet dabei die zum Zahlwort gehörenden Begriffswörter im Singular. Damit wird deutlich, dass das Zahlwort von dem Begriff ausgesagt wird. Von dem Begriff »Mann« wird ausgesagt, in zehn Exemplaren realisiert zu sein, usw. Wenn mit einem Adjektiv etwas von einem dazugehörigen Begriff erster Stufe ausgesagt wird, dann ist das Adjektiv ein Begriffswort zweiter Stufe. Wenn dagegen mit dem Adjektiv den Gegenständen, die unter den dazugehörigen Begriff erster Stufe fallen, eine Eigenschaft zugeschrieben wird, dann ist das Adjektiv ein Begriffswort erster Stufe. Die Erkenntnis, dass adjektivisch verwendete Zahlwörter Begriffswörter zweiter Stufe sind, ist die entscheidende Grundlage für Freges allgemeine Definition der Zahl in den Grundlagen der Arithmetik. Diese erlaubt ihm im Gegensatz zu den zu seiner Zeit vorliegenden Alternativvorschlägen u.a. eine problemlose Definition der Zahl Null:

»0 ist die Anzahl, welche dem Begriffe ›sich selbst ungleich‹ zukommt.« (GLA, 107)

Den psychologistischen Theorien fiel es stets schwer anzugeben, welche Vorstellung für die Bedeutung des Zahlworts »Null« relevant sein soll. Frege kann dieses Problem vermeiden, denn der Witz seiner Definition besteht darin, dass sie mit Ausdrücken auskommt, die rein logisch geklärt werden können: Der Ausdruck »eine Anzahl sein, welche einem Begriff zukommt« wird durch die allgemeine Definition der Anzahl als rein logisches Begriffswort ausgewiesen. (GLA, 100 f.) Für das außerdem noch verwendete Begriffswort »sich selbst ungleich« gilt, dass rein logisch bewiesen werden kann, dass nichts unter den von ihm bezeichneten Begriff fällt.

Die Definition des Zahlworts »Null« erlaubt des Weiteren eine Bestimmung des Ausdrucks »Existenz«. Da die Bejahung der Existenz nichts anderes ist als die Verneinung der Null-Zahl, gehört der Begriff der Existenz derselben Stufe an wie die adjektivisch verwendete Null-Zahl, d.h., Existenz ist ein Begriff zweiter Stufe. Wenn Gegenständen, die unter einen Begriff fallen, Existenz zugeschrieben wird, dann ist die Anzahl, die dem Begriff zukommt, verschieden von der Anzahl, die dem Begriff »sich selbst ungleich« zukommt. Mit dieser Erläuterung zum Begriff der Existenz wird Kants Behauptung, dass »Sein« im Sinne von Existenz kein reales Prädikat ist, durch eine Begriffsbestimmung konkretisiert.